Mittwoch, 8. März 2017

Benedict Wells - Spinner





Verlag: Diogenes
Seiten: 315
Erschienen: 24. August 2016
Preis: 12 Euro





Jesper Lier ist jung, wohnt in Berlin und schreibt momentan an seinem ersten Roman. Erst einmal ziemlich viele beeindruckende Bezeichnungen, doch in Wahrheit ist Jesper einsam, hat das Gefühl, dass die Stadt ihn erdrückt und taumelt irgendwo zwischen geringem Einkommen und viel zu vielen Selbstzweifeln. Jesper ist klar, dass er sein Leben radikal ändern muss, aber das ist nicht so einfach, wie es zunächst klingen mag. Er erlebt eine turbulente Woche und auf einer wilden Odyssee durch Berlin erkennt er den Wert von Freundschaften, was es bedeutet die richtigen Entscheidungen zu treffen und alte Angewohnheiten abzustreifen, um diesen Leben einen größeren Wert zuzuschreiben.

Es ist eine altbekannte Liebe.
Es ist, als ob man irgendwo jemanden zufällig anrempelt, ihn ansieht und dann merkt, dass dieser Mann dir schon einmal die Tränen in die Augen getrieben hat, dein Herz zum Rasen brachte, es gebrochen hat, es wieder geheilt hat, um dich dann mit einem verletzten und vollkommen verwirrten Herzen alleine zu lassen.
Benedict Wells hat mich im letzten Jahr mit "Vom Ende der Einsamkeit" umgehauen. Es war eines dieser Bücher, die Stellen in deiner Seele berühren, von denen du noch nicht einmal wusstest, dass sie existieren.
Und nun ging es weiter mit "Spinner". Benedict Wells erstem Roman. Die Geschichte, mit der alles begann. Und der Geschichte, mit der er sich nicht nur wieder in mein Herz schrieb, sondern mit der er nun zweifellos zu meinen Lieblingsschriftstellern gehört.
Dabei ist "Spinner" düster, es ist traurig und melancholisch. Es ist eine Geschichte, von der ich zwischendurch sogar gedacht habe, dass ich sie noch nicht einmal jedem weiter empfehlen würde, obwohl ich sie auf jeder Seite gefeiert habe. Ich glaube sogar, dass sich nicht jeder mit Jesper, dem Protagonisten, sofort anfreunden würde. Er ist so jemand, den man heutzutage wohl als Misanthropen bezeichnen würde, mit einem ewig negativem Blick auf die Welt und einem unrealistischen und ständig wechselndem Selbstbild. Gerade im Hinblick auf sein erstes Buch, das er schreibt, wechselt die Meinung zwischen Versagen und exzellenter Selbstüberschätzung fast stündlich. Jesper hat große Probleme im Umgang mit sozialen Kontakten und bloß wenige Freunde. Und trotzdem war er mir von der ersten Seite an sympathisch, ich habe mich sooft in seinen Denkweisen wiedergefunden und vor allem seine schonungslose Ehrlichkeit bewundert. Auch wenn er nicht ehrlich zu sich selbst war, war er es doch im Umgang mit seinen Mitmenschen. 
Und so wurde "Spinner" zu einem Buch für mich, das ich verflucht habe. Ich habe es verflucht, weil es nur 315 Seiten hatte. Ich wollte jede Seite begierig aufsaugen, aus Angst irgendetwas zu verpassen. Ich wollte nicht, dass es vorbei war, dass die Geschichte endet und ich wieder zurückgelassen werde. Denn das ist es, was ich bei Benedict Wells Büchern noch nie so stark empfunden habe, das Gefühl zurückgelassen zu werden. Du hast das Glück kurz dabei sein zu dürfen, einen Blick über die Schulter der Protagonisten zu werfen, und dann ist es plötzlich, als würde jemand auf einer verlassenen Landstraße halten, um dich an einer Raststätte rauszuwerfen und dir zu sagen, dass du jetzt wieder alleine klar kommen musst.
Aber warum habe ich zuerst gedacht, ich würde "Spinner" nicht jedem weiter empfehlen können? Weil ich dachte, es wäre ein Buch hauptsächlich für junge Menschen, die das Gefühl haben, als würde sie das Leben manchmal an eben jener Raststätte aussetzen. Die keinen bestimmten Plan im Leben folgen, die Träume haben und so naiv und hoffnungsvoll an ihnen festhalten, obwohl sie zerbrechlich sind. Obwohl das Leben zerbrechlich ist.
Aber im Endeffekt ist "Spinner" für jeden da. Für die Träumer, für die, die den Sinn und die Ordnung im Leben suchen, für diejenigen, die sich gerne an Raststätten aufhalten, um herauszufinden, wer sie als nächstes mitnimmt und was das Leben ihnen sonst noch bieten kann. Aber auch für diejenigen, die vielleicht sogar mit einer gewissen Nostalgie auf Jesper blicken und sich daran erinnern, dass das Leben nicht immer einem strikten Plan folgt. Dass es macht, was es will.
Ein unglaublich besonderes und tolles Buch und ein neues Jahreshighlight für mich. 

1 Kommentar:

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